“Süchtig nach Leben” – Jeder Weg in eine Abhängigkeit ist vielschichtig, facettenreich, sehr persönlich und individuell. Mit diesem SehnSuchtblog möchten wir die persönlichen Geschichten dahinter beleuchten, Suchttherapie-Möglichkeiten aufzeigen, bestärken, den Weg aus der Sucht zu gehen und Lebenslust versprühen. Denn: Das Leben ist schön, sogar wunderschön. Und zu schön, um es vom Suchtmittel beherrschen zu lassen.
Das Suchthilfesystem in Deutschland besteht aus vielen verschiedenen Angeboten, die alle ineinandergreifen und ein Suchthilfenetz für alle Betroffenen bilden. Einen wichtigen Akteur möchten wir besonders beleuchten: die ambulanten Suchtberatungsstellen. Was die Beratungsstellen vor Ort leisten, wie sie arbeiten und welche Suchttherapie-Angebote sie Betroffenen bieten – die Diakonie Fachstelle Sucht in Dortmund gewährt einen Einblick!
Erste Anlaufstelle für Betroffene
Die Diakonie Fachstelle Sucht ist eine ambulante Einrichtung der Suchthilfe in Dortmund und grundsätzlich bei Fragen rund um die sogenannten legalen Suchtmittel Alkohol und Medikamente zuständig. Allgemein fungieren Suchtberatungsstelle unter anderem als Kooperationspartner der stationären Suchttherapie-Angebote und nehmen eine wichtige Rolle in der Suchthilfe ein, indem sie oft die erste Anlaufstelle für Menschen mit suchtmittelbezogenen Problemen sind. Häufig steht dabei die Frage im Vordergrund, ob der Konsum noch vertretbar beziehungsweise unschädlich ist. Oder bereits ein Ausmaß angenommen hat, das die Bewältigung des Alltags kaum oder nicht mehr zulässt.
„Trinke ich zu viel?“
„Ich mache mir Gedanken darüber, ob ich in letzter Zeit nicht zu viel trinke“ – damit eröffnete Herr J. das Gespräch für seinen Anlass, unsere Fachstelle aufzusuchen“, berichtet Frank Schlaak, Leiter der Fachstelle in Dortmund. Wie ging es weiter? In einem vertraulichen Gespräch mit einem erfahrenen Suchtberater standen daraufhin fünfzig Minuten Zeit zur Verfügung, um herauszufinden, welchen Stellenwert Herr J. dem Alkohol gibt. Es kam zur Sprache, wie er konsumiert, was die Anlässe sind, in welcher Stimmung getrunken und was damit verknüpft wird und seit wann Herr J. Alkohol trinkt. Außerdem fiel der Blick auf andere Menschen, die bedeutsam für ihn sind: Familie, Freunde, Bekannte und Arbeitskollegen. Wie wird er aus deren Sicht wahrgenommen; was meint er, wie schätzen sie seine Trinkgewohnheiten ein? Im weiteren Verlauf erkannte er, dass er längst die Grenze überschritten und sich eine Abhängigkeit entwickelt hat.
Abstand zum Alkohol gewinnen – aber wie?
Was tun? Da bereits Entzugserscheinungen bei Verzicht aufgetreten sind, bot sich eine qualifizierte Entgiftung an, um zunächst Abstand vom Alkohol unter fachmedizinscher Begleitung nehmen zu können. Mit dem Entzug treten Symptome auf, die je nach Ausprägung, lebensbedrohlich sein können. Aus diesem Grund ist deren Behandlung in einem Fachkrankenhaus angezeigt und sollte nicht privat durchgeführt werden. Bestenfalls folgt eine stationäre Entwöhnungsbehandlung in einer Fachklinik direkt im Anschluss. Im Rahmen der stationären Suchttherapie können die Ursachen der Abhängigkeit erkennbar und Lösungsstrategien entwickelt werden, um mit den Ausprägungen der Erkrankung konstruktiv umzugehen und diese zu unterbrechen. Eine solche dreimonatige stationäre Entwöhnungsbehandlung bieten die Bad Essener Reha-Kliniken seit vielen Jahren an. Herr J. äußerte sich skeptisch, als ihm klar wird, dass er mit dieser Behandlung ungefähr 12 bis 15 Wochen auf seine gewohnte Umgebung, sein Zuhause, verzichten müsste. „Geht das nicht auch ambulant?“
Ambulante Suchttherapie-Behandlung als Option
Auch die ambulante Behandlung ist möglich. „Unsere Beratungsstelle bietet die medizinische ambulante Rehabilitation für Abhängigkeitserkrankte an. Sind bestimmte Bedingungen erfüllt, wie zum Beispiel die Fähigkeit, länger abstinent leben zu können und ein stabilisierendes Umfeld, ist diese Form der ambulanten Suchttherapie für 24 Personen in der Diakonie Fachstelle Sucht über die Deutsche Rentenversicherung oder Krankenkassen durchführbar“, erklärt Schlaak die grundsätzlichen Möglichkeiten. Diese Behandlungsform wird zunächst, nach Antrag, für sechs Monate bewilligt und ist bis auf insgesamt 18 Monate Laufzeit verlängerbar. Die Länge der Laufzeit ist der geringeren Intensität gegenüber einer stationären oder einer ganztägig ambulanten Suchttherapie (Tagesklinik) geschuldet. Im ambulanten Rahmen finden einmal wöchentlich Gruppensitzungen à 100 Minuten und 14-tägig Einzelgespräche à 50 Minuten statt. „Mit der ambulanten Therapie kann ich meine Berufstätigkeit beibehalten – das ist sehr hilfreich für mich“, so ein Rehabilitand zum Vorteil dieser Behandlungsform.
Keine Zeit verlieren, um Hilfe anzunehmen
Wann sollte man eine Suchtberatungsstelle aufsuchen? Ratsam ist es, keine Zeit zu verlieren, wenn der Eindruck entstanden ist, dass der eigene Alkoholkonsum zu hoch ist. Auf die Anonymität und das Einhalten des Datenschutzes, sowie der Schweigepflicht ist Verlass; in den Räumen einer Suchtberatung besteht ein hoher Schutz und Vertraulichkeit. In den Gesprächen mit geschulten Suchttherapeuten bleiben Schuldzuweisungen außen vor und das nötige Maß zwischen persönlicher Nähe und professioneller Distanz wird gewährleistet. „Unsere Suchtberatung ist telefonisch erreichbar. Über die Homepage sind die Angebote und unsere Erreichbarkeit zu finden.“ Vor der Corona-Pandemie seien an zwei Tagen offene Sprechzeiten zur Verfügung gestellt worden, zu denen man sich nun telefonisch anmelden müsse, so Schlaak.
„Wir übernehmen eine Lotsenfunktion“
„Zusammengefasst übernehmen wir eine Lotsenfunktion, weil wir als Suchtberatungsstelle bei Problemen im Umgang mit Suchtmitteln beraten, Menschen mit bestehender Abhängigkeit behandeln und in die stationäre Suchttherapie-Behandlung vermitteln, die durch Fachkliniken angeboten wird“, fasst Herr Schlaak die Funktionen der Suchtberatungsstellen zusammen. Auch bei der Rückkehr nach dem dreimonatigen Aufenthalt in der stationären Behandlung kommt die Beratungsstelle wieder ins Spiel, wenn die ambulante Nachsorge ansteht. Diese hat zum Ziel, die Abstinenz zu erhalten, das in der Fachklinik über den Umgang mit der eigenen Erkrankung Gelernte weiter anzuwenden und bei Anpassungskonflikten mit der Rückkehr in den Alltag zu unterstützen. In einer von Suchttherapeuten angeleiteten Gruppe besteht dann in einem Zeitraum von sechs Monaten die Gelegenheit zum wöchentlichen Austausch. „Die Gruppe ist hilfreich für mich, weil ich merke, dass ich nicht allein bin und von den Ideen der anderen profitieren kann.“, sagt ein Teilnehmer über den Stellenwert dieser Unterstützung. Auf diese Weise entsteht ein Kreislauf, der die enge Verknüpfung von ambulanten und stationären Suchttherapie-Hilfen verdeutlicht: Menschen kommen zur Beratung, werden in Fachkliniken vermittelt und kehren für ein halbes Jahr zur Beratungsstelle zur Nachsorge zurück.
Austausch mit Angehörigen und Selbsthilfegruppen
Angehörige von Abhängigkeitserkrankten werden ebenfalls beraten. Sie benötigen oft mindestens ein Gespräch, um Entlastung für die angespannte Situation zu finden und Verhaltensmöglichkeiten zu erarbeiten. Darüber hinaus ist die Beratungsstelle mit örtlichen Selbsthilfegruppen in Kontakt, die sowohl bei einer ambulanten als auch stationären Suchttherapie-Behandlung eine wichtige Funktion für Menschen mit Abhängigkeitserkrankungen einnehmen.
Präventionsarbeit
Auch im Bereich Prävention übernimmt die Suchtberatungsstelle Aufgaben. „Wir arbeiten als Beratungsstelle beispielsweise sehr eng mit den Betrieben in Dortmund zusammen, bündeln betriebliche Ansprechpartner, professionelle Helfer und Selbsthilfe im „Arbeitskreis Suchtgefahren im Betrieb – AK SiB“. Außerdem bieten wir Schulungen an“, erklärt der Fachstellenleiter die präventiven Aufgabenfelder. Auch für die Jugendhilfe befinde sich eine Fortbildung im Portfolio: „Motivierende Kurzintervention bei konsumierenden Jugendlichen – MOVE“. Junge Menschen, die wegen einer Alkoholvergiftung im Krankenhaus behandelt werden mussten, werden über das Projekt „HaLT“ angesprochen. „Seit September 2020 ist zudem eine Projektstelle mit dem Titel „Endlich ein ZUHAUSE!“ eingerichtet worden, die vom Land Nordrhein-Westfalen bis September 2024 gefördert wird. Das Projekt richtet sich an wohnungslose Menschen oder Menschen, die aufgrund ihrer Abhängigkeit von Wohnungslosigkeit bedroht sind“, berichtet Schlaak abschließend über das jüngste Projekt der Beratungsstelle.