Schmerzen nach einer Operation sind doch heutzutage eigentlich kein Thema mehr, oder?
Eigentlich dürfte in Deutschland kein Patient mehr an postoperativen Schmerzen leiden, die Mittel und das Wissen um eine gute Akutschmerzversorgung haben wir längst. Aber wir sind hierzulande noch weit entfernt von einer qualitativ hochwertigen flächendeckenden Versorgung. Denn eine gute schmerzmedizinische Versorgung braucht ein komplexes Gesamtkonzept. Da muss das gesamte Krankenhaus mitziehen. Sie benötigen vor allen Dingen hervorragend ausgebildete Pflegende, denn sie sind es, die tagtäglich das gemeinsam entwickelte Schmerzkonzept umsetzen, der Schmerzmediziner gibt lediglich die Spielregeln vor. Nur, wenn die Pflegenden gut ausgebildet sind und wenn es möglichst jedem Mitarbeiter ein Anliegen ist, dass kein Patient unnötige Schmerzen erleidet, dann erst hat ein solches Schmerzkonzept Erfolg. Und das ist in zu vielen Kliniken noch nicht einmal ansatzweise der Fall.
Was meinen Sie, wenn Sie sagen, Schmerzmedizin ist eine komplexe Angelegenheit?
Das Schmerzgeschehen an sich ist komplex. Es gibt akute Schmerzen aufgrund einer Verletzung oder Operation, es gibt chronische Schmerzen, die über einen langen Zeitraum bestehen und sich auch nicht einfach „wegspritzen“ lassen. Auch Tumore können Schmerzen auslösen, ebenso wie ein verletzter Nerv. In Golzheim gilt unsere Aufmerksamkeit besonders dem akuten Schmerz nach Operationen oder bei akuten Erkrankungen. Es geht uns ja darum, Schmerz möglichst gar nicht erst entstehen zu lassen, deshalb beginnt eine erfolgreiche Akutschmerztherapie schon vor oder während der Narkose. Denn nach einer Operation hätte der Patient ohne rechtzeitige Schmerzmittelgabe spätestens nach Ende der Narkose erhebliche Schmerzen und zwar tage-, wochen- und bei bestimmten Eingriffen unter Umständen jahrelang. Letzteres nennt man heute „Chronic Post-Surgical Pain (CPSP)“. Das versuchen wir durch unser Konzept zu verhindern.
Sie geben schon vor der Narkose Schmerzmittel?
Wenn sinnvoll, ja. Das hängt sehr vom einzelnen Patienten, seinen Vorerkrankungen und natürlich primär vom bevorstehenden Eingriff ab. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Ein Patient, der sowieso schon eine Schmerzproblematik durch chronische Rückenschmerzen hat und bei uns an der Klinik an der Blase oder Prostata operiert wird, braucht eine andere Schmerzmittelgabe als ein Patient ohne vorbestehende Schmerzproblematik. Denn ein Mensch mit chronischen Schmerzen ist sowieso schon in Alarmbereitschaft gegenüber Schmerzen, das Schmerzempfinden ist ein ganz anderes als bei einem Menschen, der keine längerdauernde Schmerzerfahrung aufweist. Wann ich eine Schmerztherapie beginne, ist also ein wichtiger Baustein des Erfolges. Nach dem Eingriff kontrollieren wir die Schmerzmittelgabe dann in unmittelbarer Rückmeldung mit dem Patienten und seiner persönlichen Schmerzeinschätzung.
Was kann denn der Patient dazu beitragen?
Er ist der Experte für sein Schmerzempfinden, er ist der einzige, der über seine Schmerzen wirklich Auskunft geben kann und das ist das wichtigste Beurteilungskriterium für uns Schmerzmediziner. Wir arbeiten an der Klinik mit einem Schmerzlineal mit der validierten und international gebräuchlichen Numerischen Rating-Skala , die von 0=“kein Schmerz“ bis 10=“stärkster vorstellbarer Schmerz“ reicht. Diese Benennung der einzelnen Schmerzgrade haben wir in insgesamt 9 Sprachen übersetzt und bilden damit die in Düsseldorf häufigsten Sprachen ab. Es gibt aber mehrere Patientengruppen, die ihre eigene Schmerzstärke nicht mit Zahlen beurteilen können. Bei jüngeren Kindern oder bei Patienten mit dementieller Entwicklung setzen wir Fremdbeurteilungsinstrumente ein, um eine möglichst zutreffende Einschätzung zu bekommen. Bei Vorschulkindern, die noch kein Zahlenverständnis haben, arbeiten wir beispielsweise mit einer Gesichterskala. Wir verwenden ausschließlich wissenschaftlich evaluierte Schmerzerfassungsinstrumente, aber niemals die Phantasieskalen der Pharmaindustrie.
Sie sind Experte für Akutschmerz – den chronischen Schmerz überlassen Sie Kollegen?
Ich habe in meiner 12-jährigen Tätigkeit an der Bochumer Berufsgenossenschaftlichen Universitätsklinik Bergmannheil lange Jahre Patienten mit chronischen Schmerzerkrankungen behandelt. Bei chronischen Schmerzen stehen psychische, soziale und körperliche Faktoren viel stärker in Wechselwirkung, viel wichtiger ist dort „sprechende“ Schmerzmedizin durch Schmerzpsychotherapeuten im Team. Beim Akutschmerz weiß ich dagegen genau, was ich zu tun habe, um in den allermeisten Fällen zeitnah Erfolg zu haben. In unserer Klinik können wir über 90% unserer Patienten frei von akuten Schmerzen halten. Aber natürlich ist der chronische Schmerz auch bei uns Thema, nämlich immer dann, wenn Patienten mit chronischen Schmerzerkrankungen bei uns behandelt werden. Wichtig ist, das chronische Schmerzgeschehen vom akuten Schmerz durch Operation und vom Tumorschmerz, der dritten Klasse von Schmerzen, zu unterscheiden. Außerdem biete ich chronischen Schmerzpatienten mit Erkrankungen aus dem urologischen Fachgebiet eine ambulante Begleitung an, im Einzelfall auch unabhängig von einer urologischen Behandlung an unserer Klinik.
Was sind künftige Entwicklungen innerhalb der Schmerzmedizin?
Theoretisch sind wir in Deutschland in der Akutschmerzbehandlung recht gut aufgestellt, aber bei der flächendeckenden Umsetzung gibt es Defizite, da hinken wir im europäischen Vergleich noch deutlich hinterher. Das wird sich ändern, denn Patientenvertretungen und Kostenträger fordern das zunehmend. Krankenhäuser, die kein im Ergebnis messbares Schmerzkonzept anwenden, werden in naher Zukunft mit Abschlägen bei der Vergütung rechnen müssen.
Im Arbeitskreis Akutschmerz der Deutschen Schmerzgesellschaft bin ich als Autor an der Erstellung wissenschaftlicher Publikationen, Empfehlungen und Leitlinien beteiligt, ebenso im wissenschaftlichen Arbeitskreis Schmerztherapie der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin.