10. März 2025 

Interview mit unserem Chefarzt

Schon bald ein halbes Jahr ist Dr. Christian Sellenthin unser neuer Chefarzt. Es ist an der Zeit, ihm ein paar Fragen zu stellen: über seine Einarbeitung, seine Sicht auf die Reha-Branche etc. Ein Interview mit unserem Chefarzt.

Fühlen Sie sich gut eingearbeitet und gut integriert?

Ich wurde hier in Scheidegg von Tag 1 an sehr freundlich aufgenommen. Die Arbeit in der Reha war für mich ein Sprung ins kalte Wasser. Aber alle Mitarbeiter haben es mir sehr leicht gemacht, mich hier wohlzufühlen und man hat mir auch die Zeit gegeben, mich in die wichtigsten Bereiche gut einzuarbeiten.

Was war für Sie die größte Herausforderung hier in der Klinik nach dem Wechsel vom Akut- in den Reha-Bereich?

Die Reha ist immer noch eine große Herausforderung für mich. Es ist vom Arbeiten und vom medizinischen Ansatz ja etwas komplett anderes als sich in der Akutmedizin um die Patienten zu kümmern. Gerade mit den sozialmedizinischen Fragestellungen, die ja eine der Säulen der Rehabilitation sind, hat man in der Akutmedizin so gut wie keine Berührungspunkte.

Was gefällt Ihnen in unserer Klinik am besten?

Jeder der mich fragt, bekommt immer die Antwort: „Ich habe aus meinem Arztzimmer eine phänomenale Aussicht.“  Das stimmt tatsächlich. Aber ganz im Ernst: Die Arbeit macht wirklich Spaß, weil ich hier auf allen Ebenen ein durch und durch motiviertes Team vorgefunden haben. Die Patienten spüren, dass alle Spaß an der Arbeit haben. Gerade das Therapeutenteam beeinflusst die Patienten so positiv und motiviert sie ungemein. Das ist sehr beeindruckend.

Die Reha-Branche wird häufig als „altbacken“ angesehen, speziell unter Medizinern. Häufig werden auch Rehakliniken mit Kurkliniken verwechselt. Wie sehen Sie das, gerade im Vergleich zum Akutbereich?

Viele Akutmediziner haben tatsächlich eine sehr zurückhaltende Meinung, was die Arbeit in der Reha angeht. Ich habe oft genug gehört: „Das ist nichts für dich, du wirst dich langweilen“; „schade, dass du dein onkologisches Wissen in der Reha verplemperst“; „das ist doch keine richtige Medizin“ usw. Und auch mir gingen die Frage durch den Kopf, ob das wirklich was für mich ist.

Und ja, es ist nicht die Medizin, wegen der man mal studiert hat. Aber In den wenigen Monaten, die ich hier bin, ist mir sehr schnell klar geworden, dass die Medizin in der Reha zwar komplett anders ist, aber deswegen nicht minder wichtig für den Patienten. Wenn man sieht, dass ein Patient nach 3 oder 4 Wochen deutlich leistungsfähiger und seelisch stabiler die Klinik verlässt und bald wieder in der Lage sein wird, in den Beruf einzusteigen oder auch einfach nur den Alltag ohne große Mühe gestalten kann, dann würde ich darin einen sehr wichtigen Baustein in der Behandlung des Patienten sehen.

Welche Vorteile bietet Ihrer Meinung nach die Reha-Branche Medizinern?

Die Reha bietet im Vergleich zu vielen anderen Bereichen, sei es Praxen oder auch Kliniken den großen Vorteil, dass man deutlich strukturierter arbeiten kann. Die Abläufe sind klar definiert. Es ist fast alles planbar. Wir haben keine Notaufnahme, die im Akutkrankenhaus die Bettenplanung erschwert, wir haben auch keine Akutpatienten, die wie in der Hausarztpraxis dazwischengeschoben werden müssen. Wir haben deutlich mehr Zeit für den einzelnen Patienten und können Probleme besprechen, die sonst häufig zu kurz kommen.
Somit bedient die Arbeit in der Reha natürlich die Klischees, dass das Arbeiten ruhiger und angenehmer ist als in anderen Bereichen. Die Work-Life-Balance, die gerade bei jungen Menschen in aller Munde ist, ist deutlich ausgewogener als in der Akutmedizin. Ich würde behaupten, ein Arzt in der Reha tut sicherlich nicht nur für die Gesundheit der Patienten sehr viel, sondern auch für seine eigene körperliche und psychische Gesundheit
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Welches sind Ihre beruflichen und persönlichen Ziele für 2025?

Nachdem ich hier gut angekommen bin und gut eingearbeitet wurde, geht es jetzt darum, Projekte zu erarbeiten. In Scheidegg läuft vieles sehr, sehr gut – und hier möchte ich auch meinen Dank an meine Chefarzt-Vorgänger richten, die mir ein gut bestelltes Feld hinterlassen haben. Trotzdem konnten wir bereits einige Bereiche identifizieren, in die wir im Jahr 2025 etwas Arbeit stecken möchten.

Medizinisch werden wir unser Portfolio um urologische Patienten erweitern. Wir haben die Zulassung für die Behandlung von Prostatakarzinomen erhalten und werden schon bald die ersten Patienten aufnehmen. Hier hat unsere Urologin Dr. Alexandra Hecker in den letzten Monaten viel Arbeit hineingesteckt, um ein tragfähiges Konzept zu erarbeiten. Wir freuen uns auf diese neue Herausforderung.

Außerdem steht auf der To-Do-Liste ganz oben, dass die Digitalisierung vorangetrieben wird. Ziel ist es, möglichst schnell die Patientenakte komplett digital zur Verfügung zu haben. Da es keine vorgefertigte Lösung für den Reha-Bereich gibt, müssen wir viele Arbeitsschritte selber erarbeiten und das dann in der EDV umsetzen.

Außerdem werden wir im ersten Quartal eine onkologische Ambulanz für gesetzlich und privatversicherte Patienten eröffnen. Durch die Schließung einer Klinik in der näheren Umgebung, entstand im Westallgäu eine große Lücke in der onkologischen Versorgung. Wir hoffen, dass wir diese Lücke etwas schließen können und ortsansässigen Patienten eine gute Anlaufstelle sein können.

Welche mittel- bzw. langfristigen Ziele haben Sie für die PK Scheidegg?

Die onkologische Rehaklinik Scheidegg genießt überregional einen sehr guten Ruf. Ziel ist es natürlich, diesen Ruf aufrecht zu erhalten und im Idealfall weiter zu verbessern. Darüber hinaus möchten wir auch mit den umliegenden Kliniken die Zusammenarbeit intensivieren, um gemeinsam mit diesen die Patientenströme und den Übergang aus dem stationären Aufenthalt in die AHB und anschließend das Alltagsleben zu optimieren. Dafür plane ich regelmäßige Besuche bei Chefärzten und Sozialdiensten dieser Kliniken. Natürlich werde ich auch weiter entfernte Kliniken besuchen. Ziel ist es, mit unseren TOP-Zuweisern in gutem Austausch zu sein sowie weitere Zuweiser zu gewinnen.

Daneben gilt es, hellhörig zu sein und neue Entwicklungen im Gesundheitssystem rechtzeitig zu erkennen und darauf zu reagieren, um den Klinikstandort auch langfristig wirtschaftlich zu sichern. Hier muss man auch als Rehaklinik mit seinen recht fixen Strukturen und geringem Handlungsspielraum flexibel bleiben.

Welche sind aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen der Reha-Branche in den kommenden Jahren?

Die Herausforderungen, die den Krankenhäusern und auch den niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen aktuell abverlangt werden, sind kaum zu stemmen. Wirtschaftlicher Druck, zunehmende Patientenzahlen, fehlendes Fachpersonal treiben viele Unternehmen in die Enge. Eine suffiziente Versorgung, die sich auch finanziell trägt, ist teilweise kaum noch aufrechtzuerhalten.

Momentan können wir uns in der Reha-Branche glücklich schätzen, dass wir davon noch verschont bleiben. Ich betone „noch“. Ich denke, auch hier wird sich in den nächsten Jahren der wirtschaftliche Druck noch mal deutlich erhöhten. Hier gibt es ja auch schon Bestrebungen, das System so zu verändern, dass es billiger wird, zum Beispiel durch die Forderungen nach zunehmender Ambulantisierung. Stationäre Rehabilitationen, die bisher noch Standard sind, könnten finanziell durch die Forderung nach ambulanten Maßnahmen, in Zukunft schlechter gestellt werden. Auch soll deutschlandweit eine Vereinheitlichung von Vergütungsstrukturen kommen.

Bisher konnte jede Klinik mit den Kostenträgern Vergütungssätze selbst verhandeln. Geplant ist eine Vereinheitlichung dieser Sätze je nach Indikation. Dies hätte zur Folge, dass z.B. Kliniken in Süddeutschland, die höhere Kosten haben, benachteiligt wären. Wie schon oben beschrieben, gilt es hier hellhörig zu sein und flexibel. Und ich denke, das ist sicherlich eine der wichtigsten Herausforderungen für eine gut funktionierende und etablierte Rehaklinik wie Scheidegg: nicht auf den Lorbeeren ausruhen, sondern sich weiter zu verbessern und offen für Veränderungen sein.