“Süchtig nach Leben” – Jeder Weg in eine Abhängigkeit ist vielschichtig, facettenreich, sehr persönlich und individuell. Mit diesem SehnSuchtblog möchten wir die persönlichen Geschichten dahinter beleuchten, Suchttherapie-Möglichkeiten aufzeigen, bestärken, den Weg aus der Sucht zu gehen und Lebenslust versprühen. Denn: Das Leben ist schön, sogar wunderschön. Und zu schön, um es vom Suchtmittel beherrschen zu lassen.
Viele fragen sich, was im Laufe einer Therapiewoche in einer Klinik für eine stationäre Entwöhnung passiert, welche Angebote Patientinnen und Patienten wahrnehmen, mit welchen Gedanken und Gefühlen sie durch die Woche gehen. Um einen Eindruck davon zu bekommen, hat uns ein Patient eine Woche in seinem Therapiealltag mitgenommen, uns Einblicke in seine Gefühle und seine Gedanken gegeben.
Montag, die Therapiewoche startet mit Gruppentherapie in der Bezugsgruppe.
„Die Gruppe hat sich verändert. Wir sind aktuell neun Personen, da eine Gruppenmitglied die Therapie beendet hat. Eine weitere Person hat heute ihren letzten Therapietag. Auch ein neues Gruppenmitglied wird in der Gruppe begrüßt. Außerdem wird unsere Therapeutin von einer Praktikantin begleitet. Diese neue Konstellation gibt mir zu denken, ob ich heute zu Wort kommen möchte, aber ich will erstmal sehen, was heute so anliegt. Die Verabschiedung von E. gestaltet sich erstaunlich entspannt. Noch vor dem Wochenende habe ich mir viele Gedanken gemacht, ob es nicht zu früh wäre, weil sie traurig, ängstlich und belastet wirkte. Heute ganz anders. Sie wirkte fröhlich und freut sich auf zu Hause. Das freut mich sehr und so haben es auch die anderen gesehen. Liebe Worte des Zuspruchs begleiten E. woraufhin sie dann auch die Gruppe verließ. Das neue Gruppenmitglied stellt sich ebenfalls vor, genauso wie die bestehenden Mitglieder. Zuerst wirkt er sehr strukturiert, erzählt aber dann, dass es sich am Kiosk einen „Flachmann“ geholt hat. Genau wie ich das immer tat. Ich habe das Gefühl, dass er nicht ganz offen spricht, sage aber nichts, weil er erst mal ankommen soll. Nach kurzer Pause spricht ein weiteres Gruppenmitglied über die Probleme mit dem Ehemann. Sehr emotional. Es geht um eine Handynachricht und um die Angst vor der möglichen Antwort. Kann ich sehr gut nachvollziehen. Ich habe auch Probleme zu Hause mit meiner Frau und grübele viel. Ich beteilige mich aber nicht an der Diskussion, weil ich denke, dass ich diese Nachricht schon längst geschrieben hätte. Ich brauche immer Gewissheit. Das macht mein Leben oft schwer, da es Gewissheit insbesondere im Bezug auf Gefühl selten gibt. Überraschend spricht abschließend ein weiteres Gruppenmitglied über die Beziehung zum Vater und die nicht vorhandene Akzeptanz. Volltreffer. Genau, wie bei mir. Mein Kopfkino geht los. In der Gruppe entsteht eine rege Diskussion, an der ich mich aber nicht beteilige. Wie viele Menschen doch Probleme mit ihrem Vater haben. Es wird geweint, was ich verstehe. Selbst kann ich nicht weinen und frage mich, wann ich das letzte Mal geweint habe. Vielleicht als mein Hund gestorben ist. Eine emotionale Gruppenstunde geht zu Ende.“
Der Vormittag geht weiter mit autogenem Training. „Ich konnte mich wirklich gut darauf einlassen und habe sehr entspannt.“
Mit der Gruppe „Psychische Erkrankungen und Therapie“ und dem Thema Angststörungen endet der Therapietag.
„Während der Gruppentherapie konnte ich für mich erkennen, dass ich schon seit meiner Kindheit unter stressbedingter Dauerbelastung stehe. Und keine zielgerichteten Angstzustände durchlaufe. Komisch, wie sich medizinische Begriffe anhören…“
Dienstag startet der Therapietag mit Arbeitstherapie in der Bezugsgruppe.
„Es finden sich alle im Kunsttherapieraum zusammen. Heutige Aufgabe: Osterdeko basteln. Ich hasse basteln. Das mochte ich schon als Kind nicht. Mein Glück heute: ein schwerer Tisch im Kunstraum soll demontiert werden. Genau mein Ding: planen, aufräumen und putzen. Ich schnappe mir einen Mitpatienten und in einer Stunde ist der Tisch abgebaut, der Müll entsorgt und das Nachbarregal aufgeräumt. Das hat mich sehr zufrieden gemacht, die Therapeutin auch und durften eher gehen.“
Weiter ging es mit einer offenen Therapiestunde in unserer Bezugsgruppe.
„Nach organisatorischen Punkten mit unserer Therapeutin kommt ein Gruppenmitglied zu spät zur Therapiestunde und reißt das Gespräch an sich. Ich habe keine Lust dem Gespräch zu folgen noch von mir zu erzählen, wobei ich zum aktuellen Thema „Selbstwert“ einiges zu sagen hätte. Ich möchte mich aber von dem Gruppenmitglied nicht entblößen. Auffällig ist, dass einige Gruppenmitglieder von einem geringen Selbstwertgefühl berichten, obwohl sie eine behütete Kindheit hatten. Die hatte ich nicht. Ein weiteres Gruppenmitglied berichtet viel von der Arbeit und der geringen Wertschätzung. Daraufhin entstehen Diskussionen über schlechte Arbeitsbedingungen, über Mobbing und mangelnde Wertschätzung.“
Der Tag schließt mit Sporttherapie am Nachmittag ab.
„Weil ich eine Stunde lang mit meiner Krankenkasse und Rentenversicherung telefoniert habe, habe ich heute keine große Lust auf Sport. Zumindest haben sich die Telefonate ausgezahlt. In der Sporttherapie spielen wir eine Handballversion mit einem Softball. Ich hasse Mannschaftssportarten, weil ich damit schon in der Schule immer große Probleme hatte. Entgegen meiner Erwartung ist es hier jedoch anders. Die Teams sind ausgewogen und freundlich zueinander. Ich habe sogar ein oder zwei Torge geworfen – das erste Mal in meinem Leben. Mit 56! Nach der Stunde bin ich total k.o., es hat aber Spaß gemacht und mich nicht überfordert.“
Die Therapiewoche geht am Mittwoch weiter mit dem kreativen Angebot „Offenes Atelier“.
„Wir sind nur wenige Teilnehmer in dem Angebot und machen zu Beginn eine kurze Phantasiereise. Wir stellten uns einen Teich mit Blättern vor, auf die wir unsere Sorgen packen sollten. Die Reise an sich hat mich nicht so viel geholfen, mich aber entspannt. Anschließend töpferte ich eine Bonsaischale, die auch gut geworden ist. Ich hoffe, dass sie zusammenhält. Die Zeit verging wie im Flug und ich hatte wirklich Spaß.“
Eine weitere Einheit autogenes Training folgt. „Bereits zum dritten Mal hatte ich das Angebot und es macht mir wirklich Spaß. Ich kann sehr gut abschalten und fühle mich anschließend erholt.“
Mit der Gruppe „Umgang mit Anspannung und Angst“ endet der Therapietag am Mittwoch.
„Im ersten Teil führten wir ein Interview mit der Angst. Das war ganz interessant, half mir aber persönlich nicht weiter. Die Kette „Gedanken-Gefühle-Verhalten“ soll unterbrochen werden. Ich muss feststellen: Schon wieder geht es um Gefühle. Damit habe ich die größten Schwierigkeiten. Natürlich haben wir auch die Gegenspieler der Angst betrachtet, die fehlen mir alle: Lachen, Freude empfinden, sich seiner sicher sein, Zufriedenheit, Vertrauen, Geborgenheit, im Fluss des Lebens, nicht zu viel erwarten, genießen, leben und die Messlatte für sich selbst tiefer hängen.“
Der Donnerstag startet mit Kreativtherapie in der Bezugsgruppe.
„Aufgrund meiner Gelenkschmerzen und der ärztlichen Sprechstunde komme ich zu spät zur Therapieeinheit. Den Rest der Stunde beschäftige ich mich damit in Kunstbüchern zu blättern und nach einer Vorlage für mein nächstes Bild zu suchen.“
Anschließend folgt eine Gruppentherapie-Einheit.
„Begleitet von weiterhin bestehenden Gelenkschmerzen bei mir erzählt ein Gruppenmitglied verärgert über wenig Kontakt zur eigenen Tochter und bezeichnet sich selbst als „bockig“. Eine zutreffende Formulierung für mein Gefühl. Eine Diskussion zur Eltern-Kind-Problematik entsteht. Am Ende zeigt sich, dass der Begriff „traurig“ wohl der bessere Ansatz wäre als „verärgert“.“
Für die tagesabschließende Sporttherapie lässt sich Herr W. aufgrund seiner Schmerzen freistellen.
Der letzte Therapietag der Woche beginnt erneut mit Kreativtherapie.
„Ich beginne das neue Bild zu malen, was ich mir gestern ausgesucht habe. Ein gutes Gefühl. Ich bin entspannt und die Zeit vergeht schnell. Am Ende der Stunde fühle ich mich ausgeglichen und zufrieden.“
Die Therapiewoche endet mit einer weiteren Gruppentherapie-Einheit in der Bezugsgruppe.
„Es ging zunächst wieder um die Eltern-Kind-Beziehung. Für mich persönlich gerade nicht so interessant. Ein neues Gruppenmitglied hat sich zudem vorgestellt und eine Verabschiedung stand an. Schade, ich mochte den Mitpatienten und kam gut mit ihm klar. Aber ich freue mich auch für ihn. Gleichzeitig bin ich etwas besorgt, weil er in eine schwierige Situation kommt. Ich wünsche ihm, dass er es packt nüchtern zu bleiben.“
Damit wird das Wochenende eingeläutet, das therapiefrei von allen Patientinnen und Patienten frei gestaltet werden kann.