“Süchtig nach Leben” – Jeder Weg in eine Abhängigkeit ist vielschichtig, facettenreich, sehr persönlich und individuell. Mit diesem SehnSuchtblog möchten wir die persönlichen Geschichten dahinter beleuchten, Suchttherapie-Möglichkeiten aufzeigen, bestärken, den Weg aus der Sucht zu gehen und Lebenslust versprühen. Denn: Das Leben ist schön, sogar wunderschön. Und zu schön, um es vom Suchtmittel beherrschen zu lassen.
8-Finger-Anker für Achtsamkeit – Wie kann man gesund bleiben in unserer Leistungs- und Stressgesellschaft?
In unserem Kulturkreis funktioniert unsere Wirtschaft durch unsere Gründlichkeit und unser Engagement. Das ist unser Kapital. Was äußerlich sichtbar ist, gilt auch für unser Inneres. Wir sind auch sehr gründlich und engagiert darin, uns selbst unter Druck zu setzen und sind unser eigener Stresskatalysator. Was eigentlich eine Energiequelle sein sollte, wird durch Druck zum Energieräuber. Die Folgen spüren wir körperlich oft recht dramatisch: Schlafstörungen, Müdigkeit, Kopfschmerzen, aber auch z. B. Tinnitus und Rückenprobleme.
Bei Martin (50) war es auch so. Als Bauingenieur stand er ständig unter Strom. Von einem Bauprojekt hastete er zum nächsten, hatte Ärger mit den Handwerkern, den Lieferanten, den Behörden, den Bauherren. Feierabend war meist erst spät, oft fühlte er sich dann platt und ausgepowert. So kam der Alkohol ins Spiel, die Gewöhnung, die Steigerung, die Sucht.
In der Reha in unserer Wiehengebirgsklinik stand Martin vor der Frage: Wie geht das – im Job bleiben, brennen ohne auszubrennen und mich selbst nicht verlieren?
Er beschäftige sich auch mit dem Thema Achtsamkeit. Hier fand er viele Impulse wie er immer wieder neu Luft holen und erkennen kann, was wirklich wichtig ist. Zum Beispiel erkannte er, wie sehr er in die Bewertungsspirale verstrickt war und automatisch jede Wahrnehmung mit einer Bewertung verknüpfte. So übte er, das, was er dachte, fühlte, hörte, sah und spürte, einfach zu beschreiben und die Bewertung weg zu lassen. Er entdeckte den kleinen Freiraum zwischen Impuls und Verarbeitung. Dieses „nur beschreiben“ ermöglicht ihm das Erlebnis: ich bin dem Impuls nicht ausgeliefert, ich kann die Verarbeitung bewusst steuern. Auch „Rückschritte“ gehören zum Trainingsweg. Martin akzeptierte auch das und freute sich über seine „Fortschritte“, denn Achtsamkeit und Perfektion schließen sich aus.
So entwickelte er nach und nach eine entspanntere Haltung um glücklich und voll Energie sein Leben zu gestalten.
Nur, Martin kennt auch seine Automatismen. Wie schnell ist der „Autopilot-Modus“ wieder da. Was hilft, sich immer wieder wirklich bewusst zu werden und achtsam zu sein? Als praktischer Mensch stellt sich Martin die Ergebnisse immer ganz plastisch vor.
Seine entspannten Hände beobachtend, hatte er einen Erkenntnisblitz: „8 Finger zeigen zu mir zurück. Keiner zeigt auf eine(n) andere(n), alle auf mich. Das soll meine Erinnerungshilfe sein. Wenn ich mich selbst nicht aus dem Blick verliere, ist alles ok. Und das symbolisiere ich mit meinen beiden ‚Daumen hoch‘: Ich lebe begeistert und bin dankbar!
So ist das rund für mich. Jaa, ich liebe mich, ich liebe mein Leben!“
Nun ist die Reha beendet und Martin arbeitet wieder in seinem Beruf. „Es klappt! Es klappt wirklich!“, teilte er uns kürzlich mit und schilderte sein Bedürfnis, seine Erfahrungen bekannt zu machen. Gerne lässt er sich jetzt zu Veranstaltungen und Gesprächen einladen, um über seine Erfahrungen und Erkenntnisse zu berichten, als auch die Angebote der Suchthilfe in der Öffentlichkeit deutlicher zu positionieren.