- Schnelllebiger Drogenmarkt als Herausforderung
- Experte sieht Aufklärung und Kompetenzerwerb als einzigen Weg und appelliert an eine Veränderung in der gesellschaftspolitischen Diskussion
26.06.2024. Aktuelle Zahlen und Berichte der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA) belegen: Der europäische Drogenmarkt ist so groß wie nie zuvor. Allein im vergangenen Jahr sind 26 neue Drogen in Europa festgestellt worden. Bedeutet: mehr als 950 psychoaktive Substanzen müssen von der EMCDDA im Blick behalten werden. Außerdem ist der multiple Substanzgebrauch, also der Konsum von zwei oder mehreren Drogen, auf dem Vormarsch. „Aus medizinischer Sicht sprechen wir nur noch von Substanzgruppen, weil sich insbesondere die chemische Drogenproduktion in einer stetigen Entwicklung befindet. Wir laufen dauerhaft hinterher. Diese Schnelllebigkeit macht den Drogenmarkt unheimlich komplex und schwer übersehbar“, erklärt Dr. med. univ. Christoph Bätje, Chefarzt der Paracelsus Wiehengebirgsklinik im niedersächsischen Bad Essen. Umso wichtiger sei es aus seiner Sicht, dass Konsumenten die Möglichkeit haben, vor Konsum anonym die Drogen testen zu lassen. Dabei gehe es im ersten Schritt nicht darum, den Konsum zu verhindern, sondern um die Abwendung massiver körperlicher Schäden für Konsumierende. „Die Abstinenz ist das oberste Ziel, aber nicht zu 100% erreichbar. Hier bedarf es eines zweiten Ansatzes, nämlich des Ansatzes der Risikominimierung bei Konsum.“
Kompetenzerwerb durch Aufklärung
Zudem ergebe sich für Bätje durch den multiple Substanzgebrauch nicht nur ein großes medizinisches Problem, sondern insbesondere eine offene Fragestellung an die Gesellschaft: Welche Funktionsfähigkeit von Menschen stellen wir uns in unserer Gesellschaft vor? „Menschen konsumieren, um ein erwartetes Funktionsniveau zu erreichen. Unangenehme Wirkungen der Droge werden mit anderen Drogen abgemildert, anstatt sich mit der eigentlichen Problematik auseinanderzusetzen“, weiß Bätje. Mit Blick auf die Cannabis-Legalisierung in Deutschland und die aktuellen Entwicklungen sei aus seiner Sicht Aufklärung über die Gefährlichkeit des Substanzgebrauchs der einzige Weg. „Wir müssen bereits sehr früh auf die Gefährlichkeit und die Folgen von Cannabiskonsum und anderen psychotropen Substanzen hinweisen. Psychotrope Substanzen wie z.B. Cannabis führen zu bleibenden Veränderungen im Gehirn.“ Die Gefahren seien zum Beispiel durch eine Cannabis-Legalisierung nicht zu verhindert. Es gehe vielmehr darum, die Menschen kompetent zu machen, selbst die Gefahr zu sehen. „Der Konsum ist hoch gefährlich und führt zu dauerhaften körperlichen und psychischen Folgen. Folgen, die das Leben beeinträchtigen. Die Gefahr muss jedem klar sein!“, appelliert Bätje. Eine Aufgabe für die gesamte Gesellschaft in all seiner Vielfältigkeit.
Spezialisten für die Entwöhnung
Dr. Bätje weiß, wovon er spricht. Am Standort Bad Essen konzentrieren die Paracelsus Kliniken gleich vier spezialisierte Therapieeinrichtungen, in denen Menschen mit Abhängigkeitserkrankungen und psychosomatischen Erkrankungen behandelt werden: Die Berghofklinik und die Wiehengebirgsklinik sind Rehabilitationskliniken für die stationäre Entwöhnungsbehandlung mit insgesamt 276 Therapieplätzen, die Berghofklinik 2 ist eine Adaptionseinrichtung mit 25 Therapieplätzen für den geschützten Übergang in einen suchtmittelfreien Alltag, und die Paracelsus Wittekindklinik ist eine Rehabilitationsklinik zur Behandlung von psychischen und psychosomatischen Erkrankungen mit 85 Therapieplätzen. „Wir unterstützen jährlich rund 1.000 Patientinnen und Patienten auf ihrem Weg zu einer langfristigen und zufriedenen Abstinenz,“ so Bätje.
Gesellschaftspolitische Diskussion verändern
Anlässlich des jährlich Weltdrogentags am 26. Juni ist Dr. Bätje abschließend ein Appell besonders wichtig. In der gesellschaftspolitischen Diskussion um Legalität und Illegalität, wie aktuell bei der Cannabis-Legalisierung, seien die medizinischen Folgen, die Substanz an sich und die drohende Abhängigkeit oft aus dem Fokus geraten. „Wir haben in der Diskussion den Fokus der Schädlichkeit des Konsums verloren. Bei Alkohol haben wir es geschafft, den Fokus auf der Substanz zu haben. Das müssen wir auch für Cannabis und andere psychotropen Substanzen erreichen!“