Ob Ausbildung oder Studium – am Ende steht immer die Frage, wie es beruflich weitergehen soll und wo der einzelne seine berufliche Perspektive sieht. In welcher Branche, in welchem Fachbereich oder auch in welchem Unternehmen. Mit dem fertigen Abschluss in der Tasche stehen auch ausgebildete Psychologinnen und Psychologen vor der Wahl, in welches Berufsfeld sie wechseln. Die Optionen sind sehr vielfältig: Erwachsenentherapie, Kinder- und Jugendbereich, ambulanter oder stationärer Kontext, die Festlegung auf eine therapeutische Ausrichtung, eine Weiterbildung zum psychologischen Psychotherapeuten oder auch die Wahl verschiedener Fachbereiche wie Psychosomatik oder der Bereich der Suchttherapie.
Insbesondere das Arbeitsfeld der Suchttherapie und die Arbeit mit Suchtpatienten kämpfen mit immensen Vorurteilen, sodass sich wenige Therapeutinnen und Therapeuten nach ihrem Abschluss für die Arbeit mit Suchtkranken entscheiden oder sich in diesem Bereich fortbilden möchten. Die Ursachen für die bestehenden Vorurteile gegenüber diesem Arbeitsfeld sind vielschichtig.
Stigmatisierung Suchterkrankung
„Ein Grundproblem liegt darin, dass Menschen mit einer Abhängigkeitserkrankung nach wie vor in unserer Gesellschaft häufig stigmatisiert werden“, erläutert Jana Kaiser, leitende Therapeutin der Suchtfachklinik Paracelsus Berghofklinik in Bad Essen. In den Bewerbungsprozessen erlebe sie hautnah die bestehenden Vorurteile und Barrieren bei der Entscheidung für den Arbeitsplatz Suchtklinik und Suchttherapie. Die ursächliche Stigmatisierung geschehe auf mehreren Ebenen, durch Außenstehende und Nicht-Abhängige, aber gleichermaßen durch Betroffene selbst und somit auch durch die Therapeutinnen und Therapeuten. Schlussendlich erschwere es suchtkranken Patienten die erfolgreiche Suche nach einem ambulanten Therapieplatz oder sie verheimlichen sogar ihren wahren Konsum, um nicht aufzufallen.
Vorurteile gegenüber Suchttherapie
Kaiser sieht noch weitere mögliche Vorurteile gegenüber der Arbeit mit Suchtpatienten. „Viele befürchten, dass sie es in der Patientenarbeit nur mit sogenannten „Drehtürpatienten“ zu tun haben. Bedeutet, dass Patienten immer und immer wieder zur Therapie kommen ohne nennenswerten Erfolg und keine „richtige“ therapeutische Arbeit mit den Patienten möglich ist.“ Bei vielen herrsche zudem die Annahme vor, dass es sich um eine reine Suchttherapie mit den einhergehenden und definierten Störungsbildern handelt und somit um eine von wenig Abwechslung geprägte Arbeit. Insbesondere den Suchtpatienten werde häufig eine sehr geringe und fehlende Motivation zugesprochen, sodass sich Therapeuten vergebens an ihnen „abarbeiten“. Der Stigmatisierung geschuldet, richten sich einige Vorurteile auch gegen die Klientel in Suchtkliniken selbst. Abhängigkeitserkrankungen werden häufig mit Versagen gleichgesetzt. Außerdem werden überwiegend stark beeinträchtigte Patientinnen und Patienten erwartet und von geringen Erfolgsquoten ausgegangen, so Kaiser.
Sucht ein gesamtgesellschaftliches Thema
„Bei differenzierter Betrachtung übersehen wir aber viele positive Aspekte, Chancen und Entwicklungsmöglichkeiten der Suchttherapie als Behandlungsangebot und natürlich als Arbeitsplatz“, stellt Kaiser klar. In der Suchttherapie gebe es nicht das eine süchtige Klientel. Oft vergesse man, dass die Abhängigkeitserkrankung ein gesamtgesellschaftliches Thema sei. Es finden sich Betroffene in allen Altersklassen und gesellschaftlichen Schichten wieder – vom Studenten bis zum Hochschulprofessor oder Arzt. Dies betreffe auch die Geschlechterverteilung: Es seien zwar weiterhin mehr Männer als Frauen von diesem Krankheitsbild betroffen, aber der Anteil an Frauen unter den Erkrankten steige an, berichtet Kaiser aus der Praxis.
Leidensdruck und Dankbarkeit
Hinzu komme, dass Betroffene oftmals einen sehr hohen Leidensdruck verspüren. Wenn dieser zu groß wird, tauchen sie im Suchthilfesystem auf, um Therapieangebote in Anspruch zu nehmen. „Im gleichem Atemzug erfahren wir Therapeutinnen und Therapeuten eine große und ungefilterte Dankbarkeit von unseren Patientinnen und Patienten.“
Lange Therapiezeiten ermöglichen therapeutischen Prozess
Vergessen werde zudem häufig, dass eine Suchterkrankung eine hohe Komorbidität zu weiteren psychischen Erkrankungen, wie Angstzustände, Depressionen, Somatoforme Störungen, Traumafolge- oder Persönlichkeitsstörungen mit sich bringt. „In der Berghofklinik kommen nahezu 80 % der Patienten mit einer weiteren psychischen Begleiterkrankung zu uns in die Therapie“, schildert Kaiser. Somit werden im Rahmen der stationären Suchttherapie Krankheitsbilder in ähnlicher Breite wie in einer Psychiatrie oder Psychosomatik behandelt. Gleichzeitig bieten die in der Sucht deutlich längeren Therapiezeiten – bei Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit 15 Wochen, bei Drogenabhängigkeit bis zu 22 Wochen – viel mehr Möglichkeiten für die therapeutische Arbeit. Die langen Kostenzusagen ermöglichen es, in den therapeutischen Prozess und die Beziehung mit den Patientinnen und Patienten einzusteigen, sie länger zu begleiten und Besserungen mit erleben zu dürfen. Ergänzend schaffen die Arbeit im multiprofessionellen Team der Klinik als auch die gute Vernetzung mit den ambulanten Suchthilfeeinrichtungen weitere zusätzliche Perspektiven und viel Abwechslung in der Arbeit.
Hohe Erfolgsquote
Nicht zuletzt, so Kaiser abschließend, sei die Erfolgsquote in der Suchttherapie deutlich höher als viele vermuten und damit auch sehr greifbar für jeden einzelnen Therapeuten und seine Arbeit. Laut Studien erreichen 55 bis 60 % eine langfristige Abstinenz. „Dazu trägt auch die gute Vernetzung zwischen uns als stationärer Einrichtung und dem ambulanten Setting bei. Wir entlassen unsere Patientinnen und Patienten nicht perspektivlos, sondern ebnen den Weg, damit zum Beispiel die erreichten Erfolge der stationären Arbeit möglichst nahtlos im ambulanten Kontext fortgeführt werden können“, erklärt Kaiser die Zusammenarbeit mit den ambulanten Stellen als einen Baustein für die hohen Erfolgsquoten.
„Insgesamt zeigt die Realität mit Einblicken in die Suchttherapie vor Ort und mit ihren Erfolgen, wie facettenreich, beziehungsintensiv und von Abwechselung geprägt der Arbeitsplatz in einer Suchtklinik ist“, betont Jana Kaiser. Um sich einen eigenen, ganz persönlichen Eindruck davon zu verschaffen, sind Hospitationen in den therapeutischen Teams beider Suchtfachkliniken in Bad Essen, der Paracelsus Wiehengebirgsklinik und Paracelsus Berghofklinik jederzeit möglich und herzlich willkommen. Zudem fördern beide Kliniken bei Interesse die berufsbegleitende Zusatzausbildung zum Suchttherapeuten (m/w/d).