17. November 2021 

Und dann war es Krebs – Eindrücke aus der Reha

Ich bin Marie, 39 Jahre jung, überdurchschnittlich sportlich, Mutter von 3-jährigen Zwillingen und einem 5-jährigen Vorschulkind. Im Februar 2021 entdeckte ich einen Knubbel in meiner linken Brust. Klein. Klein, hart, schmerzend: Krebs 


Krebs? Das ist doch, was andere bekommen, oder?

Da war es plötzlich da, das Wort: BRUSTKREBS. Genau so klein und hart und schmerzhaft wie der Tumor in meiner Brust. In meinem Fall die besonders aggressive Variante Triple negative. Es war ein Schock – damals im Februar 2021. Krebs bekommen doch andere, aber ich doch nicht. Bin doch so jung, gesund und sportlich. Das passt nicht zu mir! War dem Krebs aber ganz egal, er hatte sich einfach so in mein Leben gesneakt. Mir blieb nichts anderes übrig als das volle Programm durchzuziehen: Chemo, OP, Bestrahlung – mit allen Nebenwirkungen die es eben auf diesem Weg gibt. Ja, auch Haarverlust.

Ich hab den Krebs besiegt, meine Ängste noch nicht. Jetzt also zur Reha in die Paracelsus Klinik Scheidegg. Noch fühlt sich das Leben nach dem Krebs wackelig und ungewiss an…


Ich hab den Weg vor Augen: LEBEN

Meine Gedanken über eine Reha? Kann ich verraten: „Wahrscheinlich bin ich nicht ausgelastet und bewegungsmäßig total unterfordert!“ – „Ich will nicht dauernd nur über Krebs sprechen!“ – „Schon wieder Krankenhausatmosphäre? Ich will Schönes um mich rum, bitte!“ – „Ob es da Menschen gibt, die so ticken wie ich? Wenigstens ein bisschen?“ – „Wahrscheinlich gibt es nur Graubrot zum Frühstück!“ – Sowas ging mir durch den Schädel, bevor ich nach Scheidegg zur Reha reiste. Jetzt bin ich da und hoffe dabei sehr, dass ich es gedanklich schaffen werde, ein wenig Abschalten zu können. Ich freue mich vor allem auf die Auszeit nach der wahnsinnig beanspruchenden Chemo- und Bestrahlungstherapie. Endlich selbst bestimmte ME-Zeit (ich bin dreifache Mutter).


Angekommen in der Reha: Bedenken adé!

Sie haben mir hier schon in den ersten Minuten meine Bedenken aus dem Kopf gepustet. So ein herzliches Willkommen und so viel Herzenswärme. Und dabei bin ich gerade erst angekommen. Und dann das Zimmer! Mit Blick auf die Berge, was ein Glücksgriff. Was steht auf dem Tagesplan? Mittagessen. Und ansonsten: Loslassen und alles auf mich zukommen lassen. (Schon mal die erste Übung für die liebe Marie :)).
Nachtrag am Abend: Kontrastprogramm zu den letzten neun Monaten und auch meinem schnellen, vollen Leben davor könnte nicht größer sein – mal sehen, wie ich das aushalte. Aber erst mal fühlt es sich gut an…


Los geht’s mit der Reha

Erst einmal zum Arztgespräch – nach einem geschulten Blick in meine Krankenakte werde ich gefragt, was mir wohl in den nächsten drei Wochen am ehesten gut tun würde. Ich kann meinen Reha-Plan mitbestimmen? Okay, dann nehm‘ ich Bewegung und gerne viel davon. Nach einer Stunde Therapieplanung ziehe ich von dannen, den Therapieplan in der einen Hand, den Gebäudeplan in der anderen und ein paar größere Fragezeichen über meinem Kopf. Wo geht‘s hier zum Schwimmbad? Raum C 102 ist wo nochmal? Und wer hat sich das mit den vielen Treppen ausgedacht? Ach ja, es geht ja hier vor allem um Bewegung. Treppen rauf, Treppen runter und nach einem Tag finde ich zumindest schon einmal zum Speisesaal und in die Sporthalle. 


Mein persönliches Reha-Programm

Von Ergotherapie, Walking, Schulter-Arm-Gymnastik, Aquafit, Qi Gong, Polyneuropathie bis Yoga und Pilates ist alles dabei. Was für eine riesige Bandbreite. Und das ist nur das Bewegungsprogramm. Es gibt natürlich noch viel mehr Programmpunkte. Standard-Antwort, als ich wohl etwas erstaunt gucke angesichts des vollgepackten Therapieplans: Reha ist keine Kur! Okay, okay, ich hab verstanden.


Ey, hier gibt’s Berge, das glaubt ihr nicht!

Sobald ich frei hab, geht‘s raus, wenn möglich auf einen nahegelegenen Höhenweg oder sogar in die Berge. Meine ganz eigene Marie-Spezial-Bergtherapie. Schon vor meiner Anreise hab ich mich sehr auf die Berge gefreut. Ich bin nämlich eigentlich eine Bergziege, die bei der Geburt im flachen Rheinland ausgesetzt wurde. Ich habe noch nie so oft der Sonne beim Aufgehen und Untergehen zugeschaut wie hier. Unbeschreiblich, wie sie den Himmel mit unglaublichen Farbspielen verwandelt . Die Luft ist klar und die Endorphine spielen verrückt beim Anblick der Berggipfel. Das ist sooo schön, ich werde ganz andächtig.


Bitte noch ein bisschen mehr Salatsauce mit Salat – danke!

Gutes Essen für 150 Menschen zu planen und zu kochen ist eine irre Herausforderung. Also war das Essen einer meiner Sorgen vor dem Aufenthalt hier. Ich erinnere mich nämlich noch genau an labbrige Toasts und pappigen Käse im Krankenhaus. Aber in Scheidegg ist das wirklich anders. Schon nach der ersten Mahlzeit bin ich tatsächlich tief beeindruckt. Der Salat ist frisch, das Gemüse wie Möhren, Tomaten, Gurken oder Sellerie ist frisch geraspelt. Und ich bin total hin und weg von den Salatsaucen. Jeden Tag eine andere und alle lecker. Wie macht der Küchenchef das?? Und dann noch Sonnenblumenkerne als Topping dazu. Ich hab die Wahl zwischen drei warmen Mahlzeiten. Für mich als Teilzeit-Vegetarier bleiben kaum Wünsche offen. Nur für Veganer wird es etwas tricky. Aber prinzipiell gehen die Mitarbeiterinnen auf die Bedürfnisse der PatientInnen gezielt ein. 

Eins noch: die Allgäuer Käsespätzle in der Klinik sind ein wahrer Allgäuer Genussmoment, bei dem man locker mit jeder Gabel das Klinikfeeling um sich herum völlig vergessen kann.


Nach der Reha: Wir bleiben sicherlich Freundinnen

Ich finde gleich am ersten Abend Anschluss mit zwei wunderbaren Mädels. Irgendwie sitzen wir trotz unserer sehr unterschiedlichen Krebserkrankungen in einem Boot und müssen uns nicht mehr groß erklären. Fühlt sich so an, als ob wir uns schon ewig kennen. Wir unterhalten uns über Dies und Das und nur wenig über Krebs. Das gefällt mir sehr. Nach der ersten Begegnung weiß ich, dass das tiefe Freundschaften bleiben werden – auch nach der Reha. 


Genesung ist so ein schönes Wort

Von Tag zu Tag kehrt meine Power zurück und auch das Vertrauen in meinen Körper. So fühlt sich das also an – Genesung. Klingt gut, ist gut. Drei Wochen gingen schnell rum, der Blick auf die Berge fehlt mir jetzt schon. Pilates, Qi Gong und Yoga sind definitiv meine Therapiehighlights. Und meine beiden engen Weggefährtinnen, da bin ich so froh über die wertvollen und oft auch ganz schön lustigen Gespräche. Und dauernd diese Sonne, meine Sprossenzucht auf der Nase ist üppig. Aber jetzt: Kann ich es kaum erwarten, meine drei Sonnenscheine in die Arme zu schließen. Danke an alle!