Welche Wege führen aus dem aktuellen Ärztemangel? Das ist die „Million Dollar Question“, mit der sich derzeit deutsche Klinikmanager plagen. Ein Teil des Problems scheint zu sein, dass immer mehr Ärzte ein zweites X-Chromosom haben. Tatsächlich kann in diesem Fakt aber auch die Lösung liegen. Die Zusammenhänge erklärt Prof. Dr. med. Claudia Trenkwalder, Mutter, Neurologin und Chefärztin der Paracelsus-Elena-Klinik Kassel.
Frau Prof. Trenkwalder, sind Frauen Schuld am Ärztemangel?
Prof. Trenkwalder: Fakt ist, dass die meisten Ärzte heutzutage Ärztinnen sind. Und von denen üben viele ihren Beruf nicht aus, weil sie sich um die Familie kümmern. Das ist neben dem Abwandern von Ärzten in klinikferne Bereiche und ins Ausland ein zentraler Grund für den Ärztemangel. Trotzdem ist es natürlich Unsinn zu sagen, dass Ärztinnen Schuld am Ärztemangel sind. Umgedreht wird ein Schuh daraus: Die Kliniken müssen bessere Voraussetzungen schaffen, damit Ärztinnen nach der Elternzeit wieder in den Beruf einsteigen. So könnten junge Mütter im weißen Kittel dazu beitragen, dass wir bald keinen Ärztemangel mehr haben.
Welche Probleme ergeben sich konkret für eine Ärztin, wenn sie während ihrer Weiter¬bildung Mutter wird?
Prof. Trenkwalder: Ein Problem sind die Ärzte¬kammern, die sich bisher familienfreundlichen Lösungen zur Weiterbildung verschließen. Ich nenne Ihnen einige Beispiele: Derzeit muss die Anerkennung von Teilzeitarbeit in der Weiterbildung bei einigen Ärztekammern extra beantragt werden, und
Weiterbildungszeiten von unter sechs Monaten zählen oft nicht. Zudem werden Vertretungsstellen, die gerade Mütter oft in Anspruch nehmen, nicht berücksichtigt. Ein weiteres Problem ist, dass die Teilnahme an Bereitschaftsdiensten unabdingbar zur Facharztausbildung dazugehört und dies oft ein logistisches Problem für Familien darstellt. Die Arbeitstage im klinischen Bereich haben oft keinen fixen Endpunkt, Kindertagesstätten haben hingegen fest stehende Zeiten, an denen sie zumachen.
Sind die Probleme also nur organisatorisch?
Prof. Trenkwalder: Nein. Wichtig wäre auch, dass die Chefs und die männlichen Kollegen mehr Ver-ständnis für junge Ärztinnen mit Kindern aufbringen. Prinzipiell brauchen wir mehr Flexibilität und Indivi-dualität. Wenn eine Frau sagt: Mir reicht es, wenn ich acht Wochen zu Hause bin und danach wieder ar-beite, dann sollte sie nicht als „Rabenmutter“ angesehen werden. Andersherum ist es auch in Ordnung, wenn eine Frau sagt: Ich möchte die nächsten fünf oder sechs Jahre maximal halbtags arbeiten.
Wie sind Ihre eigenen Erfahrungen als Mutter und Ärztin?
Prof. Trenkwalder: Ich habe einen Sohn und eine Tochter, die ich aber schon relativ früh in meiner Laufbahn bekommen habe. Meine komplette Facharztweiterbildung habe ich mit Kindern absolviert. Ich hatte das Glück, dass ich immer Arbeitgeber hatte, die mich gefördert haben. An der Uni München bekam ich zum Beispiel eine der damals sehr raren Teilzeitstellen. Der Oberarzt sagte: Ist mir ganz gleich, wenn Sie nicht immer da sind. Hauptsache, Sie arbeiten für mich! Nach einigen Jahren habe ich dann wieder Vollzeit gearbeitet. Aber auch bei mir lief nicht alles glatt. Persönlich habe ich in meinen ersten Jahren zum Beispiel darunter gelitten, dass die Oberärzte gerne erst sehr spät auf Station kamen, um die Patienten anzuschauen. Ich finde: Wenn da eine junge Mutter auf der Station wartet, dass der Oberarzt die Patienten abnimmt, dann muss der spä¬testens bis um 16 Uhr da sein!
Wann ist der optimale Zeitpunkt für Kinder?
Prof. Trenkwalder: Zum einen bietet sich die Zeit während des Studiums an. Das ist zwar auch hart, aber wenn man dann in die Weiterbildung kommt, sind die Kinder schon etwas größer. Ein anderer Zeitpunkt ist nach dem Ende der Facharztweiter¬bildung. Schwierig ist es, wenn man ein Baby bekommt, wenn man gerade mit dem Studium fertig ist und sich noch nicht für eine Richtung in der Medizin entschieden hat. Wie will man sich dann in der Zeit weiterbilden?
Wie lange sollte eine Ärztin höchstens ihre Weiterbildung unterbrechen und was sollte sie dabei beachten?
Prof. Trenkwalder: Ich denke, man kann durchaus zwei Jahre aussteigen – vielleicht auch länger. Möglich wäre, dass sie sich für die Elternzeit eine Zeitschrift anschafft, Kontakt zur Klinik hält und regelmäßig Fortbildungen besucht.
Ist Kontaktpflege nur eine Sache der Mutter, oder sind da auch die Kliniken gefragt?
Prof. Trenkwalder: Unbedingt. Bei uns an der Klinik bleiben Mütter auf dem internen E¬-Mail¬-Verteiler und werden zu allen Fortbildungen und wichtigen Konferenzen eingeladen.
Halten Sie den Verlust von Fachwissen während der Elternzeit für problematisch?
Prof. Trenkwalder: Das hängt natürlich stark davon ab, in welcher Fachrichtung Sie tätig sind. Wenn Sie in einer allgemein internistischen Klinik arbeiten, haben Sie sicher keine Probleme, nach einer Pause fachlich wieder in Tritt zu kommen. Wenn Sie in einer hoch spezialisierten Klinik, in einem operativen Fach oder in der Forschung tätig sind, dann kann man bei einer sechsjährigen Pause schon den Anschluss verlieren. Grundsätzlich denke ich aber, dass die fachlichen Qualifikationen nicht der wesentliche Hinderungsgrund für einen Wiedereinstieg sind.
Wie hilft Ihr Arbeitgeber, die Paracelsus¬Klinik¬Kette, Ärztinnen beim Wiedereinstieg nach der Elternzeit?
Prof. Trenkwalder: Für meine Klinik im Speziellen kann ich sagen, dass wir viele Kolleginnen mit Kindern haben. Wir versuchen gerade im Bereich der Arbeitszeiten so flexibel wie möglich zu sein und unterschiedliche Teilzeitmodelle anzubieten. Darüber hinaus habe ich hier keine vorgeschriebene Arbeitszeit. Das können wir uns leisten, weil wir kein operatives Fach sind. Wir haben natürlich Kernarbeitszeiten, aber ähnlich wie in anderen Bereichen können die Kollegen auch Gleitzeit nehmen. Um das zu vereinfachen, haben wir auch keine Morgenbesprechung wie in vielen anderen Kliniken. Wir haben mehrfach in der Woche eine Mittagskonferenz, bei der dann alle anwesend sind.
Gibt es Kinderbetreuungsangebote?
Prof. Trenkwalder: In der Paracelsus¬Klinik in Reichenbach gibt es zum Beispiel seit dem Jahresanfang eine betriebseigene Kindertagesstätte. Die wird mit Zuschüssen der Konzernzentrale finanziert. Das Entscheidende bei diesem Kindergarten ist, dass er Kolleginnen auch an Samstagen die Möglichkeit gibt, ihre Kinder betreuen zu lassen. Weil wir hier in Kassel ein relativ kleines Haus sind, haben wir keinen klinikinternen Kindergarten.
Wir versuchen aber, individuelle Lösungen im Team gemeinsam zu tragen. Beispielsweise haben wir eine Kollegin, die am Montagnachmittag nicht hier sein kann. Einer anderen Kollegin war es wichtig, dass sie mittags bei ihren Kindern zu Hause war. Dadurch entstehende Arbeit wird von anderen Kollegen übernommen und aufgefangen.
Wie flexibel sind Sie mit der Arbeitszeitgestaltung in Ihrer Klinik?
Prof. Trenkwalder: Bei uns in der Klinik geht fast jedes Modell, auch weniger als halbtags. Bei einer reinen stationsärztlichen Tätigkeit hingegen ist es mit weniger als einer halben Stelle eigentlich kaum machbar.
Können Sie ein Beispiel nennen, wo der Wiedereinstieg besonders gut geklappt hat?
Prof. Trenkwalder: Da fällt mir eine meiner Oberärztinnen ein: Die hat während der Elternzeit an ihren Forschungsprojekten weitergearbeitet, um „dranzubleiben“. Sie hat weiter an entscheidenden Mittagskonferenzen teilgenommen und ist oft auch mal mit Kind in die Klinik gekommen. Als sie dann wieder anfing, ging das entsprechend reibungslos.
Kennen Sie auch ein Negativbeispiel?
Prof. Trenkwalder: Ja, leider. Ich erinnere mich an eine Kollegin, die an einer großen Uniklinik nach der Elternzeit halbtags arbeiten wollte. Sie wollte drei Tage die Woche kommen, durfte das aber nicht. Sie sollte jeden Tag halb arbeiten. Deshalb musste sie kündigen. Viele Chefs sind, was Teilzeitstellen anbelangt, enorm unflexibel. Sie möchten ihre Angestellten jeden Tag sehen und einen Ansprechpartner haben.
Trifft manchmal Mütter eine Mitschuld, wenn der Wiedereinstieg schiefgeht?
Prof. Trenkwalder: Solche Fälle gibt es natürlich auch: Ich nenne Ihnen als Beispiel eine Kollegin, die relativ spät ihr erstes Kind bekam. Sicher auch zu Recht wollte sie sich mehr ihrem Kind widmen. Sie stellte aber Forderungen, die das Team nicht mittragen konnte. Bei einer Halbtagsstelle wollte sie maximal einen Dienst im Monat, und für die Schulferien hatte sie besondere Urlaubswünsche. Das hätte das Team nicht auffangen können.
Ergibt sich ein Gewinn an „Soft Skills“ bei Ärztinnen, die gleichzeitig Mutter sind?
Prof. Trenkwalder: Da bin ich mir mit meinen männlichen Kollegen sicher einig: Frauen mit Kindern sind absolut effiziente Mitarbeiter. Da habe ich sehr positive Erfahrungen gemacht. Gerade in der Arbeit mit Parkinson¬-Patienten, bei denen oft die ganze Familiensituation beeinträchtigt ist, bringen Ärztinnen mit eigener Familie sehr viel Verständnis mit.
Wie ist die Wiedereingliederung nach der Elternzeit in anderen Ländern geregelt?
Prof. Trenkwalder: Ich war 2009 zu einem Sabbatical in London. Dort sind Auszeiten für Elternerziehung auch im universitären Bereich Alltag. Halbtagsstellen gibt es allerdings kaum. Dafür sind die Kinderbetreuungsangebote vielfältiger, aber auch teurer. Von Italien weiß ich, dass die Situ
ation der Ärztinnen viel schlechter ist als bei uns. Die festen Stellen an den italienischen Kliniken bekommen fast nur Männer. Dort herrscht eine richtige Diskriminierung. Da sind wir fortschrittlicher.
Würden Sie auch männliche Kollegen unterstützen, die Elternzeit nehmen?
Prof. Trenkwalder: Natürlich! Hier an unserer Klinik kenne ich aber leider keinen.